eva.graetzer@gmx.ch
    Mai 19, 2021 13:30PM

    Liebe Nina Deine spannende Arbeit hat in mir einiges aufgebrochen, was meine Beziehung zu meinem Bruder betrifft und ich konnte durch spontane Tränen diesen “unbewussten Stein auf meiner Seele” ins Rollen bringen- Herzlichen Dank dafür:) Zu meiner Geschichte: Als erstgeborenes Kind und erste Enkelin war ich seit Geburt “Königin”. Das änderte sich gut ein Jahr später, als mein Bruder geboren wurde und mit Asthma und Hautkrankheiten viel Aufmerksamkeit benötigte. Seine Bedürfnisse waren immer im Vordergrund: Wir flüchteten aus der Zirkusvorstellung, weil er einen Asthmaanfall hatte, ich durfte nicht reiten, weil er höchst allergisch auf diese Tiere reagierte, wir konnten einen geplanten Ausflug nicht machen, weil er ein Kaninchen gestreichelt und nun mit Asthma und blühendem Ekzem im Bett lag. Es war eine Sensation, dass er zwei Fünfen im Zeugnis hatte. Dass ich keine Note unter Fünf heimbrachte, war “normal” (so empfand ich das zumindest manchmal als Kind – heut weiss ich, dass auch ich von meinen Eltern stets liebevoll begleitet und beachtet wurde und noch immer werde). Nebst den körperlichen Einschränkungen hat es mein Bruder verstanden, durch “Lausbubengeschichten” die Aufmerksamkeit meiner Eltern (vor allem meiner Mutter) stets auf sich zu ziehen. Ich war oft eifersüchtig auf ihn, fühlte mich ungeliebt und unverstanden. Gleichzeitig liebte ich meinen Bruder sehr, verteidigte oder umsorgte ihn, wenn es ihm schlecht ging und in Krisensituationen hielten wir zusammen wie Pech und Schwefel. Unbewusst begann ich mich nicht so wichtig zu nehmen, mich über Leistung und braves Verhalten zu definieren. Ich bin gesegnet (oder belastet?) mit scharfem Verstand, vielen Talenten und einem gewinnenden Wesen – was mir ausserhalb der Familie stets viel Erfolg beschert hat, mich bezüglich Aufmerksamkeit in der Familie aber eher ins Abseits katapultierte – meine Eltern waren froh, dass ich einfach “funktionierte”. Manchmal ist es gut, sich nicht so wichtig zu nehmen – so kommen Projekte weiter. In anderen Situationen wäre es wichtig, dass meine Bedürfnisse an erster Stelle kommen – dies zu leben wird wohl stets mein Thema bleiben (durch «Schattenkinder» ist mir dies mehr denn je bewusst geworden – danke). Mein Bruder verstand es stets, seine Schwächen auszuspielen, um Ziele zu erreichen. Andererseits wollte er keine Sonderbehandlungen wegen seiner Krankheit. Durch mein Aufwachsen mit ihm habe ich Nachteile und Vorteile einer Krankheit mit Einschränkungen hautnah miterlebt. Menschen mit speziellen Bedürfnissen oder Gebrechen kann ich ohne Mitleid aber offen und unverkrampft – eben auf Augenhöhe – begegnen, wofür ich meinem Bruder sehr dankbar bin. Auch heute haben wir beiden ein herzliches Verhältnis. Uebrigens: Meine Tochter reitet seit Jahren obwohl mein Sohn Asthma hat und höchst allergisch auf Pferde reagiert – jeder akzeptiert die Bedürfnisse des anderen und macht Zugeständnisse. Dies wurde möglich, dank meinen Erfahrungen mit meinem Bruder und einem Aufwachsen in einer liebevollen und fürsorglichen Familie – dem stärksten Fundament, das ein Mensch als Rüstzeug für’s Leben erhalten kann.


    eva.graetzer@gmx.ch
    Mai 19, 2021 13:30PM

    Ich habe einen grösseren Bruder. Ich hatte mir immer gewünscht, dass er “der grosse Bruder” ist, den man halt so aus Filmen kennt. Leider war er das nie. Als Kinder hatten wir eine gute Beziehung zueinander, aber danach wurde es irgendwie immer distanzierter. Ich habe oft ein schlechtes Gewissen, dass ich nichts mit ihm anfangen kann. Er würde sich Mühe geben und möchte Zeit mit mir verbringen, aber mich nervt er meistens nur. Ich hoffe, dass ich das irgendwann zu überwinden schaffe, und wir eine “Bilderbuch Geschwisterbeziehung” haben, wie man sie halt sonst so kennt. Vielleicht ist es aber auch falsch, einer Vorstellung hinterherzulaufen, die halt vielleicht einfach nicht zu uns passt? … Ich hätte es so gern gut mit ihm. Aber ich stehe mir da selbst im Weg.


    jamal99rachid@gmail.com
    Mai 19, 2021 13:30PM

    Als ich acht Jahre alt war, wurde mein Bruder geboren. Ich freute mich sehr darüber, weil ich anstelle meiner älteren Schwester oft lieber einen älteren Bruder gehabt hätte. Doch von da an war plötzlich ich der ältere Bruder. Wir spielten sehr oft zusammen, trotz des grossen Altersunterschieds. Und ich fühlte mich verantwortlich für ihn, weil ich erkannte, dass ich in vielerlei Hinsicht ein Vorbild für ihn war und vielleicht auch immer noch bin. Er ist jetzt bald 20 Jahre alt und wird im Sommer das Elternhaus verlassen. Ich habe oft Zweifel, ob mein Einfluss immer gut für ihn war. Nicht, dass sein Leben nicht gut verlaufen wäre, es ist alles in Ordnung. Einige meiner Einflüsse waren sicherlich gut und hilfreich. Aber ich war manchmal auch gemein zu ihm und nutzte den Altersvorsprung zu meinem Vorteil aus. Wir hatten oft schwierige Zeiten durchzustehen, manchmal redeten wir länger nicht miteinander. Heute haben wir manchmal Schwierigkeiten in Kontakt zu bleiben, aber wenn wir uns sehen oder telefonieren ist es immer gut. Eine meiner grössten Ängste war und ist, dass ihm etwas zustossen könnte, dass er sich das Leben nimmt oder in einem Verkehrsunfall stirbt. Ich weiss nicht, wie ich diesen Verlust verarbeiten würde. Damit muss ich leben. Auch wenn diese Gedanken und Gefühle schrecklich sind, erinnern sie mich immer wieder daran, wie gut es ist, einen jüngeren Bruder zu haben.